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mit NDO

Es gibt Themen, über die man eher ungern spricht. Das Blasenmanagement und die damit verbundenen Herausforderungen gehört häufig dazu. Umso wichtiger ist es dieses Thema endlich zu enttabuisieren. Auf die Toilette gehen müssen wir schließlich alle.

Der NDO Blog

Von Mensch zu Mensch

Dieser Blog soll Betroffene einer neurogenen Detrusorüberaktivität unterstützen, zum Austausch anregen und nicht zuletzt einfach Spaß machen – ganz unverblümt und von Mensch zu Mensch.
Authentisch und aus dem wirklichen, meist nicht perfekten Leben, erzählt.


Dating mit Querschnittslähmung - über Mythen und Wahrheiten

Allgemeine Beiträge

 

Rückblickend gesehen war es Fluch und Segen zugleich, doch damals war mir das nicht klar. Mit „damals“ meine ich 2008. Damals bin ich 18 Jahre alt und nach meiner Querschnittslähmung für 9 Monate im Querschnittszentrum in Bayreuth. Natürlich war ich damals nicht der einzige, dessen Lebens sich von einem auf den anderen Moment drastisch änderte, der zum Tetraplegiker wurde. Tatsächlich waren wir 6 Jungs mit einem ähnlichen Schicksal. Diese Gruppe allerdings war geteilt, denn 4 von uns hatten zum damaligen Zeitpunkt eine Freundin und 2 von uns eben nicht. Ich war heilfroh, dass ich zu den vieren gehört habe. Erst 3 Monate vor meinem Unfall bin ich noch als Fußgänger mit Steffi zusammengekommen und sie hat mir in dieser schwierigen Phase unglaublich viel Kraft gegeben. Sie hat mich besucht, sie hat mich unterstützt, sie hat mich zum Teil gepflegt und ich durfte mit ihr meine ersten sexuellen Erfahrungen als Querschnittsgelähmter sammeln. Hierfür bin ich ihr sehr dankbar und diesbezüglich war es tatsächlich ein Segen. Aber dennoch hatte ich immer wieder Gedanken: „Wird diese Beziehung ewig halten?“, „Ich bin als beschädigte Ware nicht gut genug für sie“, „Wenn sie mich verlässt, werde ich nie mehr eine finden.“

In dieser Sichtweise war es tatsächlich ein Fluch. Steffi hatte mir nie einen Grund für solche Gedanken gegeben. Sie war wirklich toll! Und dennoch waren die Gedanken da. Ich wusste es damals einfach nicht besser. Ich wusste nicht, dass diese Gedanken unbegründet sind... Aber dazu gleich mehr.

Steffi und ich führten eine tolle Beziehung mit längeren Reisen, Partys, ein gemeinsames Studium und vielem mehr. Doch nach 7 Jahren Beziehung hatten wir uns als Personen weiterentwickelt, uns in verschiedene Richtungen entwickelt. Wir beide waren uns einig, dass der gemeinsame Weg hier zu Ende geht und wir uns trennen.

Plötzlich war ich Single und querschnittsgelähmt und die Gedanken wurden auf einmal wieder sehr präsent: „Werde ich jemals wieder eine finden?“, „Wie soll Dating mit Rollstuhl funktionieren?“

Mein erster Weg führte mich zum wohl offensichtlichsten: Tinder! Klappt das als Querschnittsgelähmter? Soll ich auf den Fotos zeigen, dass ich im Rollstuhl sitze? Swiped denn überhaupt jemand nach rechts? Und was, wenn sie sich dann treffen will?

Wieder siehst du Gedanken über Gedanken, Sorgen über Sorgen und Ängste über Ängste. Und hier liegt auch der Grund, warum ich zu Beginn meiner Single-Zeit nicht „erfolgreich“ war. Ich habe vieles probiert, neben Tinder unter anderem Datingportale, Verkupplungsversuche durch Freunde und Flirts auf Partys… zu Beginn hat nichts funktioniert und ich dachte, es liegt an meiner Behinderung. Doch es lag an mir! Es lag an mir und meinen Selbstzweifeln. Ich musste zuerst an mir arbeiten, an meiner Persönlichkeit arbeiten, bevor ich im Dating Erfolg haben konnte. Aus diesem Grund war die damalige Beziehung zu Steffi eben ein Fluch. Denn ich war von Beginn meiner Behinderung an in einer Beziehung, war in meiner Komfortzone und es gab keinen Grund, an mir und meine Persönlichkeit zu arbeiten. Nun, als Single, war die Sache eine andere und die ersten Misserfolge motivierten mich zu lesen, zu lernen und an mir zu arbeiten.

Und dann klappte es tatsächlich auch mit den Mädels, und zwar unabhängig von der Art und Weise, wie der erste Kontakt zustande kam. Ich stellte schöne Urlaubs- und Rollstuhl-Rugby-Fotos von mir (mit Rollstuhl), auf Tinder und Dating Plattformen. Gepaart mit einem augenzwinkernden Text hat das gut funktioniert? Ich traute mich, auf Partys Mädels anzusprechen und sie auch nach ihrer Nummer zu fragen. Es gab die ersten Mädels, die ich dann wieder küsste, und letztlich gab es auch dann die ersten Mädels, mit denen ich im Bett landete. Dadurch wuchs mein Selbstbewusstsein weiter und meine Selbstzweifel wurden kleiner. Ich erkannte: Es liegt nicht am Rollstuhl, es liegt an mir!

Jetzt möchte ich aber auch auf den Untertitel dieses Blogbeitrags näher eingehen. „Mythen und Wahrheiten“.

Mythos: Attraktive Frauen möchten nichts mit Rollstuhlfahrern zu tun haben.
Sicherlich ist eine Behinderung beziehungsweise ein Rollstuhl für manche Frauen ein Hemmnis. Viele hatten eventuell auch zuvor noch keinen Kontakt zu Rollstuhlfahrern und sind deshalb zurückhaltend. Doch wenn ich den ersten Schritt mache und es schaffe, mögliche Bedenken zu zerstreuen, dann sind viele Frauen neugierig und experimentierfreudig.

Wahrheit: Es gibt Frauen, für die ist der Rollstuhl ein No-Go.
Tatsächlich gibt es aber eben auch Frauen, für die eine Beziehung mit einem Rollstuhlfahrer ein Tabu ist. Dann ist das eben so… Zum Glück ist das nicht die Mehrheit. Meine Erfahrung ist, dass Frauen, die sich eine Beziehung mit einem Rollstuhlfahrer vorstellen können, die unkomplizierteren und selbstbewussteren Frauen sind. Aus meiner Sicht filtert der Rollstuhl sozusagen Frauen aus, mit denen ohnehin eine Beziehung nicht funktionieren würde.

Mythos: Wer auf Hilfe angewiesen ist, ist schwach!
Manche Rollstuhlfahrer, mich eingeschlossen, sind im Alltag auf Hilfe angewiesen. Auch wenn ich mit einer Frau auf ein Date gehe, brauche ich eventuell hier und da Hilfe, zum Beispiel beim Aufmachen der Bierflasche, bei steilen Anstiegen, bei Kopfsteinpflaster oder um auf die Liegewiese zu kommen. Die meisten Frauen sehen das nicht als ein Zeichen von Schwäche. Tatsächlich ist es nach meiner Erfahrung oft sogar ein Ice Breaker, durch den sich schnell offene und tiefgehende Gespräche ergeben. Natürlich sollte die (potenzielle) Partnerin nicht als neue Pflegekraft gesehen werden. Selbstredend.

Wahrheit: Frauen tun sich schwerer, Rollstuhlfahrern einen Korb zu geben.
Und das ist ein entscheidender Vorteil im Live Dating. Egal zu welcher Frau ich bisher hingerollt bin, um sie anzusprechen. Offenbar gehört es zum guten Ton, einen Rollstuhlfahrer nicht sofort abblitzen zu lassen. Dadurch habe ich immer die Möglichkeit, in einem kurzen Anfangsgespräch zu überzeugen 🙂

Wie du siehst, ist es beim Dating mit Rollstuhl wie mit den meisten Sachen im Leben: Es gibt Vor- und Nachteile. Letztlich liegt es an dir, was du daraus machst. Ich blicke mit guten Erinnerungen an meine Zeit als Single zurück. Ich durfte viele Erfahrungen sammeln, tolle Frauen kennenlernen, experimentieren und auch meine Freiheit genießen. Inzwischen bin ich glücklich mit Lisa verheiratet, die ich übrigens auf einer Party einfach angequatscht habe... In diesem Sinne: Trau dich!

Sebastian Wächter

Sebastian

32 Jahre

Rollstuhl-Rugby-Spieler

Profil

Ein falscher Schritt beim Wandern wird Sebastian Wächter zum Verhängnis. Er stürzt und bricht sich das Genick. Diagnose:
Querschnittslähmung. 95 Prozent seiner Muskeln sind betroffen. Und das mit 18 Jahren...

Bitte beachten Sie, dass die hier enthaltenen Informationen lediglich als Orientierungshilfe dienen und das ärztliche Gespräch nicht ersetzen können.