Mein Leben
mit NDO

Es gibt Themen, über die man eher ungern spricht. Das Blasenmanagement und die damit verbundenen Herausforderungen gehört häufig dazu. Umso wichtiger ist es dieses Thema endlich zu enttabuisieren. Auf die Toilette gehen müssen wir schließlich alle.

Der NDO Blog

Von Mensch zu Mensch

Dieser Blog soll Betroffene einer neurogenen Detrusorüberaktivität unterstützen, zum Austausch anregen und nicht zuletzt einfach Spaß machen – ganz unverblümt und von Mensch zu Mensch.
Authentisch und aus dem wirklichen, meist nicht perfekten Leben, erzählt.


Mein Weg in die berufliche Selbstständigkeit

Allgemeine Beiträge

 

Hallo liebe Leserinnen und Leser,

es gibt Momente im Leben, in denen wir merken, dass wir an dem Punkt, an dem man sich gerade befindet, nicht mehr so weitermachen kann wie bisher.
Ende 2018 war dies bei mir der Fall. Ich sitze an meinem Schreibtisch und mache gerade die letzten Mails vor Feierabend fertig, zu der Zeit arbeite ich als Aktienanalyst. Dann schaue ich mich um, betrachte die Abteilung, beobachte meine Arbeitskollegen und spüre in mich hinein. In diesem Moment kommt mir ein Gedanken beziehungsweise eine Frage: Möchte ich das, was ich gerade mache, noch weitere 30 Jahre machen? Und die Antwort schoss mir gleich in den Kopf: Nein!
In diesem Moment wusste ich, ich muss etwas ändern. Zeitgleich hatte ich begonnen, ehrenamtlich durch Vorträge und Coachings mit Hilfe meiner Erfahrungen während meines Schicksalsschlags anderen Menschen bei persönlichen Krisen und Herausforderungen zu helfen. Ich habe dadurch gemerkt, dass ich hierdurch Menschen helfen und auch weiterhelfen kann. In diesem Zusammenhang war dann mein Gedanke beziehungsweise mein Entschluß geboren: Ich kündige mein Angestelltenverhältnis als Aktienanalyst und versuche mir eine Selbstständigkeit als Redner und Coach aufzubauen.

Kann ich so einfach einen sicheren Arbeitsplatz mit guter Bezahlung aufgeben? Wie soll ich die Arbeitsbelastung als Selbständiger in Verbindung mit meinem Handicap hinbekommen? Was passiert, wenn ich krankheitsbedingt länger ausfalle und dadurch nicht arbeiten kann? Bin ich auch im Alter versorgt, wenn ich nun aus dem Rentensystem austrete? Und so weiter und sofort... Viele Fragen, viele Bedenken, viele Befürchtungen von mir und meinem Umfeld insbesondere auch aufgrund meines Handicaps.
Dennoch habe ich die Entscheidung getroffen, auch wenn sie riskant war. Der Gedanke, der mir dabei geholfen hat war: Ich gebe mir nun 3 Jahre Zeit, um meine Selbstständigkeit ins Laufen zu bekommen, und wenn es dann nicht klappt, gehe ich wieder den Weg zurück ins Angestelltenverhältnis. Dieser Gedanke hat mir geholfen, da er mir klarmachte, dass es immer noch den Weg zurück gibt, falls ich scheitern sollte. Das hat mir etwas die schwere beziehungsweise die Tragweite der Entscheidung genommen.
Inzwischen ist diese Entscheidung 4 Jahre her und ich darf behaupten, dass es eine der besten Entscheidungen meines Lebens war. Meine Selbstständigkeit ist erfolgreich, meine Zufriedenheit ist beruflich so groß wie noch nie und meine Selbstbestimmtheit ist maximal. Natürlich gibt es positive und negative beziehungsweise herausfordernde Aspekte der Selbständigkeit. Keine Frage.

Das Beste ist natürlich, dass ich meine Arbeitszeit zu 100% an mein Handicap anpassen kann. Das bedeutet, dass Abführzeiten, Kathederzeiten, Zeiten, in denen ich meine Haut entlasten muss, usw so festgelegt werden können, wie es für mich am besten passt. Es gibt einfach keinen Vorgesetzten und keine Arbeitskollegen, nach denen ich mich richten muss. Das bedeutet wiederum nicht, dass meine Arbeitsbelastung abgenommen hat. Im Gegenteil ich arbeite als Selbstständiger deutlich mehr als während meines Angestelltenverhältnisses. In etwa sind es 50 - 60 Stunden die Woche. Auch Urlaubszeiten, Arztbesuche, Physiotherapie und Krankenhausaufenthalte kann ich flexibel einplanen. Die langen Reisezeiten als Redner (ich bin deutschlandweit tätig) haben mich wiederum nicht abgeschreckt, da ich bereits aufgrund des Rollstuhl Rugby viel gereist bin.

Natürlich ist die entscheidende Frage bei einer selbstständigen Tätigkeit, ob ich dadurch genügend Geld verdiene oder eben auch nicht . Ehrlicherweise war es bei mir in den ersten 2 Jahren so, dass ich mitunter von meinen Ersparnissen leben musste. Denn der Umsatz entwickelte sich nur mäßig. Ich musste lernen, wie wichtig Marketing und Vertrieb in meinem Fall waren. Sobald mir dies bewusst war und ich dort entsprechend viel Energie, Zeit und Geld reingesteckt habe, ist auch mein Umsatz entsprechend gestiegen und die finanzielle Situation entspannte sich mehr und mehr. Auch meine Bedenken bezüglich der Altersvorsorge wurden weniger und weniger.
Tatsächlich ist es so, dass mir durchaus bewusst ist, dass meine Arbeitszeit und meine Arbeitskraft die Grundlage für meine Selbstständigkeit sind. Deswegen bin ich umso vorsichtiger und bewusster, wenn es um meine Gesundheit geht. Ich versuche durch Prävention, gesunde Ernährung und viel Bewegung dafür zu sorgen, dass ich leistungsfähig und einsatzbereit bin. In den letzten 4 Jahren hat dies glücklicherweise dazu geführt, dass ich nie länger als eine Woche krankheitsbedingt ausgefallen bin. Und ich klopf auf Holz, dass dies weiterhin so bleibt.
Abgesehen von Geld, Flexibilität und Selbstbestimmtheit ist es darüber hinaus allerdings ein unbeschreibliches Gefühl, wenn ich merke, dass ich durch meine Arbeit Menschen und auch Unternehmen wirklich weiter helfe und sie dabei unterstützte, bei sich etwas zum Besseren zu verändern. Dadurch bin ich ausgesprochen glücklich und zufrieden mit meiner Arbeit.

Letztendlich war es also trotz meiner Bedenken die richtige Entscheidung, etwas in meinem Leben zu verändern und den Schritt zu wagen. Wenn du also mit dem Gedanken spielst, dich trotz deines Handicaps selbstständig zu machen, dann sei dir den Risiken bewusst, lass dich allerdings nicht von ihnen entmutigen.

Viel Erfolg auf deinem Weg wünscht dir,
Sebastian

Sebastian Wächter

Sebastian

32 Jahre

Rollstuhl-Rugby-Spieler

Profil

Ein falscher Schritt beim Wandern wird Sebastian Wächter zum Verhängnis. Er stürzt und bricht sich das Genick. Diagnose:
Querschnittslähmung. 95 Prozent seiner Muskeln sind betroffen. Und das mit 18 Jahren...

Bitte beachten Sie, dass die hier enthaltenen Informationen lediglich als Orientierungshilfe dienen und das ärztliche Gespräch nicht ersetzen können.